Investieren in Betongold: Steuern rund ums Haus
Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht
Interview: "Sieben Fragen an... Sigrid Keler" - Ehemalige Finanzministerin mahnt Grenzen für Ausnahmekredite an
In der Druckausgabe hat sich ein Fehler eingeschlichen. Ein Teil des Interviews, das als Frage der Redaktion zugeordnet wurde, gehört zur Antwort von Sigrid Keler. Das komplette Interview stellen wir deshalb hier zur Verfügung. Die Passage ist markiert.
Das regelmäßig erscheinende Wirtschaftsmagazin „Der Steuerzahler“ des Bundes der Steuerzahler liegt auch in diesem Monat wieder in den Briefkästen der Vereinsmitglieder.
Darin informiert der Verband über interessante Service-Themen und bereitet seine Arbeit für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auf. Dieses Mal hat der Bund der Steuerzahler Mecklenburg-Vorpommern e.V. in seiner Landesbeilage des "Steuerzahlers", dem Nord-Kurier, die Neuaufnahme von Schulden zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in den Blick genommen und dazu ein Gespräch mit der ehemaligen Finanzministerin Sigrid Keler geführt. Sie war die erste Finanzministerin in M-V, die 2006 einen ausgeglichenen Haushalt ohne die Neuaufnahme von Schulden vorgelegt hat. Das jetzige Vorgehen der Landesregierung sieht sie in Teilen kritisch: "Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit sind für die Transparenz wichtig. Sondervermögen erschweren die Transparenz, schon aus diesem Grunde befürworte ich sie nicht." Das ganze lesenswerte Interview finden Sie im Nord-Kurier, Ausgabe April 2021.
Interview, Bund der Steuerzahler M-V, Mitgliederzeitung Nord-Kurier, Erscheinung April 2021
Red.: Frau Keler, als das Land Mecklenburg-Vorpommern erstmals 2006 keine neuen Schulden aufnehmen musste, da galt das zum großen Teil auch als Ihr Verdienst. Die von Ihnen ebenfalls präferierte Schuldenbremse steht mittlerweile in der Landesverfassung. Dann kam Corona... . Die Landesregierung hat bis dato 2,85 Milliarden Euro neue Schulden über die Ausnahmeregelung zu Naturkatastrophen aufgenommen. Wie denken Sie darüber?
Sigrid Keler: Die negativen Folgen der Pandemie sind für unsere Gesellschaft in all ihren Facetten einzugrenzen und nach Möglichkeit zu überwinden. Dazu muss auch die Finanzpolitik beitragen. Die Ausnahmeregelung, von der Schuldenbremse nach Art.109 Abs.3 abzuweichen, liegt zweifellos vor. Die Corona-Pandemie ist eine Naturkatastrophe, die eine vom Staat nur teilweise beherrschbare Dynamik entfaltet und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt. Allerdings rechtfertigt das nicht eine beliebige Ausweitung kreditfinanzierter Ausgaben. Zu berücksichtigen sind: Zusätzliche Kredite in der Notsituation sind nur für die Bekämpfung der Krisensituation und ihrer Folgen erlaubt. Es muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Und: Für die zusätzliche Kreditaufnahme ist ein Tilgungsplan zu erstellen und soweit als möglich vorausschauend zu konkretisieren.
Red.: Verwendet wird das Geld u.a. für die Digitalisierung und die Schulen - beides zweifellos wichtige Themen, jedoch eigentlich längst geplant. Fehlt da nicht der Bezug zur Pandemie?
Sigrid Keler: Mit Skepsis habe ich beobachtet, dass teilweise der angemessene Rahmen überschritten wurde. Das betrifft M-V, ebenso den Bund wie auch andere Bundesländer ( z. B. Hamburg oder Brandenburg ). Auf politischer Ebene ist offenbar der Eindruck verbreitet, dass dann, wenn eine Naturkatastrophe vorliegt keine Grenzen für die Höhe der Ausnahmekredite mehr gelten mit der Folge, dass man nun endlich alle politisch als wünschenswert erscheinenden Schwerpunkte „konsequent verfolgen“ darf.
Red.: Der Tilgungsplan für die Neuverschuldung steht. Er sieht eine jährliche Tilgung über 20 Jahre hinweg vor. Aus der SPD hörten wir jüngst das Stoßgebet, die Zinsen mögen auf niedrigem Niveau langfristig stabil bleiben. Zur weiteren Tilgung der Altschulden ist es bisher verdächtig ruhig. Darüber hinaus wissen wir noch nicht, ob wir mit dieser Schuldenhöhe wirklich "am Ende der Fahnenstange" angekommen sind. Solidarpaktmittel gibt es nicht mehr. Die EU-Förderung ist deutlich niedriger als noch zu Ihrer Zeit als Finanzministerin. Was erwartet die Bürgerinnen und Bürger?
Sigrid Keler: Für die Aufnahme der Schulden ist die Berücksichtigung der Tilgung und der Zinsen das A und O. In M-v sollen die zusätzlichen Kredite im Zeitraum bis 2045 (!) getilgt werden - andere Länder gehen noch darüber hinaus. Abgesehen von verfassungsrechtlichen Zweifeln, ob diese lange Tilgungsphase mit Art.65 Abs.2 Satz 2 LV M-V übereinstimmt, ist für mich das „Zinsthema“ wichtig. Die Niedrig-Zinsphase der letzten Jahre hat den öffentlichen Haushalten beim Abbau der Schulden und einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, sehr geholfen. Außerdem sind die Steuereinnahmen im letzten Jahrzehnt kontinuierlich gestiegen und die Arbeitslosenzahlen jährlich gesunken. Es waren gute Jahre für alle Kämmerer und Finanzminister!
Aber auch diese Krise macht uns deutlich, dass eben nicht immer mit einem ständigen Wachstum zu rechnen ist und wir uns mal wieder auf schwierige Zeiten einstellen müssen. So wird uns sehr bald die Klimakrise einiges abverlangen - wie müssen wir da finanzpolitisch reagieren? *
Die wirtschaftliche Erholung, die Entwicklung der Arbeitslosigkeit und das Steueraufkommen in Deutschland hängt von vielen Faktoren ab, die wir nicht mehr direkt beeinflussen können (Globalisierung), ebenso die Entwicklung der Zinsen. Jahrelang haben alle öffentliche Haushalte von den niedrigen Zinsen profitiert - das „billige“ Geld hat manche in Versuchung geführt. Nun gibt es seit kurzem ernstzunehmende Stimmen, die eine höhere Inflation prognostizieren und in Abhängigkeit davon einen Anstieg der Zinsen voraussagen. Nehmen wir an, die Zinsen steigen um 3 %-Punkte, dann muss M-V für die Sonderkredite zusätzlich am Anfang ca. 85 Mio € zahlen, das sind 230 Mio €, die den Normalhaushalt zusätzlich belasten. Auch ohne Erhöhung der Zinsen belasten die 2, 85 Mrd. € die Folgehaushalte enorm. Die Altschulden sind dabei nicht berücksichtigt!
Red.: Was halten Sie davon, dass die Landesregierung die Neuschulden in ein Sondervermögen auslagert?
Sigrid Keler: Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit sind für die Transparenz wichtig. Sondervermögen erschweren die Transparenz, schon aus diesem Grunde befürworte ich sie nicht.
Red.: Hätte es aus Ihrer Sicht andere Möglichkeiten gegeben, um die tatsächlichen Pandemiekosten, wie etwa die Steuerausfälle der Kommunen oder die Wirtschaftshilfen zu finanzieren? Welche Sparpotentiale sehen Sie?
Sigrid Keler: Die Pandemiekosten sind zu bezahlen, dafür ist eine Kreditaufnahme zulässig, aber das hat seine Grenzen, wie ich schon erläutert habe.
Red.: In der FAZ haben Sie im Jahr 2007 einmal darüber nachgedacht, dass bei einer schlechten Haushaltsführung leitende Verantwortliche, angefangen bei den Hausspitzen der Ministerien bis in die Verwaltungsebene, aber auch Abgeordnete mit einer Kürzung ihrer Bezüge rechnen müssen. Die aktuelle Landesregierung hat schon vor Corona einen Haushalt aufgestellt, der nur aus Rücklagen zu stemmen war. Selbst ohne Pandemie wies die mittelfristige Finanzplanung Handlungsbedarfe aus. Wäre das so ein Moment für das Kürzen von Bezügen gewesen?
Sigrid Keler: In dem Interview im Jahr 2007 habe ich offensichtlich den berühmten „ Stein ins Wasser“ geworfen, um den Wellenschlag zu sehen. Wichtig ist allerdings schon, dass das Parlament sein Etatrecht verantwortungsvoll wahrnimmt und die Leitenden Mitarbeiter in den
Behörden mit den ihnen anvertrauten Mitteln sorgsam umgehen.
Das Interview führte Michaela Skott.
*[Anm. d. Red. In der gedruckten Fassung ist dieser Teil als Frage der Redaktion gekennzeichnet. Tatsächlich gehört der Absatz zur Antwort von Sigrid Keler]