Mietrückzahlungen gehen ans Jobcenter
Risiko auch für Vermieter
Nach einem BGH-Urteil von 2024 gehen nicht nur Rückerstattungsansprüche aus Mietverträgen von Sozialleistungsempfängern auf das Jobcenter über, sondern auch das Klagerecht. Ob diese ihrer gesetzlichen Verpflichtung Steuergelder zurückzuholen immer nachkommen, scheint fraglich. Aber auch für Vermieter ergeben sich Risiken.
Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung vom 5. Juni 2024 (Az.: VIII ZR 150/23) klargestellt, dass Rückerstattungsansprüche auf überzahlte Miete von Wohnraummietern während des Leistungsbezugs auf den Sozialleistungsträger übergehen. Für den Vermieter heißt das, dass z.B. Mietminderungsansprüche von Mietern, die Bürgergeldgeld beziehen, kraft Gesetzes dem Jobcenter zustehen.
In dem Verfahren ging es um die Miete für eine Wohnung, die wegen eines Wasserschadens zeitweise unbewohnbar, und insgesamt sittenwidrig überhöht war. Vielfach unbeachtet geblieben ist in dem Zusammenhang, dass diese Mieter damit auch die Aktivlegitimation an das Jobcenter verlieren, d.h. das Recht, selbst zu klagen. Deswegen müssen auch seriöse Vermieter aufpassen, dass sie Rückzahlungen nicht doppelt leisten müssen.
Allein im Monat Juni 2025 beliefen sich die laufenden anerkannte Kosten der Unterkunft in Berlin laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit auf 170,35 Millionen Euro für 241.167 Bedarfsgemeinschaften mit Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Das entspricht 768,49 Euro pro Bedarfsgemeinschaft, 435,75 Euro pro Person in der Haushaltsgemeinschaft und 14,34 Euro pro Quadratmeter.
Der Bund der Steuerzahler Berlin sprach mit dem Berliner Rechtsanwalt Salih Erdil, der die Mieter aus dem BGH-Verfahren in den Vorinstanzen vertreten hatte, über die Konsequenzen auch für den Steuerzahler. So weiß Erdil von mehreren Verfahren zu berichten, mit denen er bei Mietverhältnissen von Leistungsempfängern Mietminderungen von 50 Prozent und die Auferlegung von Verfahrenskosten auf die Vermieter und Rückzahlungsansprüche von fast 78.000 Euro an die öffentliche Hand durchsetzen konnte.
Herr Erdil, sind die von Ihnen beschriebenen Zustände Extremfälle?
Rechtsanwalt Erdil: In den angesprochenen Verfahren waren die Mängel gravierend und schockierend. Der Zustand der desolaten Räumlichkeiten führte bei den Mietern zur erheblichen psychischen Belastung sowie zur Gesundheitsgefährdung. Es handelt sich nach meinem Kenntnisstand nicht um Einzelfälle.
Sehen Sie in den von Ihnen vertretenen Verfahren eine flächendeckende Masche zu Lasten der Jobcenter und damit der Steuerzahler?
Rechtsanwalt Erdil: Es ist aus meiner Sicht ein flächendeckendes Geschäftsmodell, das mir so in Berlin immer wieder begegnet ist. Hintergründe sind auch, dass zum einen die Kosten eines Verfahrens von Leistungsempfängern nicht selbst getragen werden können und die Durchsetzung der Rechte erheblichen Zeitaufwand bedeutet. Hinzu kommt, dass die Anforderungen zur Durchsetzung von Mietminderungsansprüchen etc. bzw. Vorgehensweisen schlicht nicht bekannt sind.
Waren die Verfahren von den Jobcentern angestoßen worden?
Rechtsanwalt Erdil: Die Verfahren wurden von den Mietern angestoßen. Die Leistungsstelle war von mehreren Mietern vor meiner Beauftragung mehrfach vergeblich um Hilfe gebeten worden. Es geschah nichts.
Haben Sie den Eindruck, dass die Jobcenter genug hinterher sind, berechtigte Mietminderungsansprüche gegen unseriöse Vermieter durchzusetzen?
Rechtsanwalt Erdil: Das Problem sehe ich auf Seiten der Leistungsstellen, die sich nicht mit der Rückholung von Steuergeldern befassen. Ich habe den Eindruck, dass sie gar nicht hinterher sind, trotz der Entscheidung des Landgerichts Berlin und des Bundesgerichtshofes. Ich hatte die Geschäftsführer der Leistungsstellen in Berlin auf die Problematik hingewiesen und mich sogar an den Senat für Soziales gewandt, ergebnislos. Sie sind jedoch bereits gesetzlich dazu verpflichtet, zu prüfen, ob Steuermittel zurückgeholt werden können. Die Weigerung solche Prüfungen vorzunehmen, stellt eine Amtspflichtverletzung zu Lasten der Steuerzahler dar. Mietrückzahlungsansprüche verjähren im Übrigen in der Regel nach drei Jahren, weswegen Beträge aufgrund der Untätigkeit der Leistungsstelle endgültig verlustig gehen.
Ist das Problem auf Berlin beschränkt?
Rechtsanwalt Erdil: Hier ist bekannt, dass Leistungsstellen auch in anderen Bundesländern generell wenig bis kaum von ihren gesetzlichen Möglichkeiten Gebrauch machen.
Sehen Sie bei den Jobcenter überhaupt die Strukturen, um mietrechtliche Ansprüche Ihrer Kunden zu verfolgen?
Rechtsanwalt Erdil: Solche müssten nach meinem Kenntnisstand noch eingerichtet werden. Es kann einem Sachbearbeiter einer Leistungsstelle nicht zugemutet werden, eine mietrechtliche Prüfung vorzunehmen. Die Rechtsabteilungen sind aus meiner Sicht ohnehin mit sozialrechtlichen Fragestellungen befasst und allenfalls nur peripher mit mietrechtlichen Fragestellungen im Rahmen von Kosten. Das Mietrecht ist hochkomplex. Das Jobcenter trägt das gleiche Prozessrisiko wie jeder, der klagt. Allerdings sehe ich hier, sofern eine Prüfung von einem auf Mietrecht spezialisierten Anwalt erfolgt ist, dass Risiko eher als gering an.
Sehen Sie politische Vorgaben, hier nachsichtig zu sein, um vielleicht den Mietmarkt für Leistungsbezieher nicht noch enger zu machen?
Rechtsanwalt Erdil: Eine solche politische Vorgabe sehe ich nicht. Die Vorschriften zur Mietpreisbremse, Mietwucher und Rückforderungsansprüchen betreffen ja nicht nur Leistungsbezieher. Um vorzubeugen, dass Leistungsempfänger allein wegen ihres sozialen Status keine Wohnung erhalten, könnte der Schutz ins Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz aufgenommen werden.
Welche Konsequenzen müsste der Gesetzgeber aus dem BGH-Urteil ziehen?
Rechtsanwalt Erdil: Mit dem pauschalen vorab Forderungsübergang wird trotz der BGH-Entscheidung nach meiner Auffassung die vom Gesetzgeber beabsichtigte Entlastung der Sozialkassen genau zum Gegenteil führen, da kein Mieter als Leistungsempfänger klagen kann bzw. nur erschwert. Entweder müssten die Strukturen in den Leistungsstellen geändert oder das Gesetz muss dahingehen korrigiert werden, dass ein Leistungsempfänger klagen darf. Ich möchte betonen, dass es lediglich um die Möglichkeit der Klageerhebung geht. Die Rückzahlungsansprüche sollten weiterhin bei der Leistungsstelle verbleiben, sofern diese die Mieten auch bezahlt hat.
Folgt aus dem BGH-Urteil für seriöse Vermieter nicht auch Risiko, mit Rückzahlungen an den Mieter an den falschen Berechtigten zu leisten, wenn er gar nicht weiß, dass dieser Kunde beim Jobcenter ist?
Rechtsanwalt Erdil: Im Urteil hat der BGH klargestellt, dass der gesetzliche Forderungsübergang unabhängig von der Kenntnis des Vermieters kraft Gesetzes erfolgt. Der Vermieter kann dann von der Leistungsstelle nochmals für getätigte Zahlungen an den Mieter in Anspruch genommen werden. Hierbei spielt es keine Rolle, ob der Mieter sie erst erhält oder das Jobcenter diese direkt zur Anweisung bringt. Das trifft übrigens auch auf Nebenkostenerstattungen zu. Der Forderungsübergang betrifft nur Geld- oder Ersatzansprüche – also Ansprüche, auf Zahlung oder Rückzahlung von Miete, Mietminderung, Schadensersatz oder Rückforderung zu viel gezahlter Beträge.
Muss ein Vermieter denn wissen, dass sein Mieter Jobcenter-Kunde ist?
Rechtsanwalt Erdil: Es wäre in seinem Interesse, zumal er sich vor einer möglichen doppelten Inanspruchnahme schützen könnte. Fragen darf er allerdings anlasslos nicht direkt. Er darf eine Bonitätsanfrage stellen. Der Mieter kann auch selbst offenlegen, ob er Leistungen bezieht. Darüber hinaus kann der Vermieter nachfragen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Auskunft zu einem etwaigen Leistungsbezug hat. Dieses dürfte immer dann vorliegen, wenn der Vermieter vom Mieter wegen Mietrückzahlen etc. in Anspruch genommen werden soll und ein Rückzahlungsbetrag im Raum steht. Hier empfehle ich bei etwaigen Mieteransprüchen auf Rückzahlungen stets im Einzelfall nach datenschutzrechtlichen Vorgaben neutral schriftlich beim Mieter nachzufragen, ob er Transferleistungen erhält.

Salih Erdil ist Rechtsanwalt in Berlin,
Fachanwalt für Strafrecht, spezialisiert
auf das Mietrecht und Mitglied im
Bund der Steuerzahler.
Ihr Ansprechpartner beim
Bund der Steuerzahler Berlin e.V.
Lepsiusstr. 110
12165 Berlin

Dipl.-Volkswirt Alexander Kraus
Vorstandsvorsitzender
Tel.: 030 790107-14
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