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Urteil gegen mutmaßlichen Mitarbeiter syrischen Geheimdienstes: «Lebenslang» wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit und Mordes

18.01.2022

Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz hat den syrischen Staatsangehörigen Anwar R. zu lebenslanger Haft verurteilt. Es wirft dem 58-Jährigen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Tötung, Folter, schwerwiegender Freiheitsberaubung, Vergewaltigung und sexueller Nötigung in Tateinheit mit Mord in 27 Fällen, gefährlicher Körperverletzung in 25 Fällen, besonders schwerer Vergewaltigung, sexueller Nötigung in zwei Fällen, über eine Woche dauernder Freiheitsberaubung in 14 Fällen, Geiselnahme in zwei Fällen und sexuellen Missbrauchs von Gefangenen in drei Fällen vor.

Das OLG teilte mit, es sehe es unter anderem als erwiesen an, dass der Angeklagte Anwar R. im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen die syrische Zivilbevölkerung als Mittäter 27 Menschen ermordet sowie 4.000 Menschen in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt und während der Ingewahrsamnahme gefoltert hat.

Das syrische Regime habe jedenfalls seit Ende April 2011 einen ausgedehnten und systematischen Angriff gegen die eigene Zivilbevölkerung geführt. Anfang 2011 sei der "arabische Frühling" auf das Land übergesprungen. Als sich die Proteste ausweiteten, sei eine "Zentrale Stelle für Krisenmanagement" gegründet worden, die unmittelbar dem Staatspräsidenten unterstanden und für sämtliche Sicherheitskräfte das Vorgehen gegen die Protestbewegung vorgegeben habe. Ziel der im April 2011 gefassten Beschlüsse des Gremiums sei es gewesen, die Proteste zur Stabilisierung des Regimes unter Einsatz von Waffengewalt um jeden Preis niederzuschlagen. Die Vorgaben der "Zentralen Stelle für Krisenmanagement" seien durch die Sicherheitskräfte und die syrischen Geheimdienste umgesetzt worden. Diese hätten Protestkundgebungen unter Einsatz tödlichen Schusswaffengebrauchs zerschlagen. Täglich seien massenhaft Verhaftungen von tatsächlichen oder vermeintlichen Regimegegnern vorgenommen und diese in die Gefängnisse der Geheimdienste gebracht worden – auch in das Gefängnis der Abteilung 251 des syrischen Allgemeinen Geheimdienstes in Damaskus. Dort seien die Gefangenen ohne rechtsstaatliches Verfahren eingesperrt, misshandelt und gefoltert worden. Die Gewalt sei nicht nur isoliert und zufällig angewendet worden, sondern im Rahmen einer umfassenden Strategie des Regimes.

In dem der Vernehmungsunterabteilung der Abteilung 251 des Syrischen Allgemeinen Geheimdienstes in Damaskus angeschlossenen Gefängnis seien von Ende April 2011 bis Anfang September 2012 mindestens 4.000 Gefangene inhaftiert gewesen und bei ihren Vernehmungen brutal gefoltert worden. Um die Gefangenen zu erniedrigen und zu demütigen, sei auch sexuelle Gewalt eingesetzt worden. Die Häftlinge seien außerhalb der Vernehmungen auch vom Gefängnispersonal misshandelt und unter unmenschlichen und erniedrigenden Haftbedingungen in dem überfüllten Gefängnis festgehalten worden. Neben der selbst erlittenen Gewalt und Folter hätten sie besonders unter den permanent hörbaren Schmerzensschreien der gefolterten Mithäftlinge gelitten. In dem Gefängnis sei den Gefangenen teilweise das Schlafen nicht möglich gewesen. Medizinische Versorgung sei verweigert worden, die ausgegebenen Nahrungsmittel seien unzureichend und oftmals ungenießbar gewesen. 27 inhaftierte Personen seien im Zeitraum von Ende April 2011 bis Anfang September 2012 infolge der Folter, der anderen Misshandlungen oder der Haftbedingungen gestorben.

Zur Rolle des Angeklagten hat das OLG festgestellt, dass dieser Mitglied des syrischen Allgemeinen Geheimdienstes und dort in herausgehobener Position tätig war. Ihm habe die Vernehmungsunterabteilung der für den Raum Damaskus zuständigen Abteilung 251 des Allgemeinen Geheimdienstes – auch bezeichnet als Al-Khaib- Abteilung – unterstanden. In dieser Funktion sei er auch für das an die Vernehmungsabteilung angeschlossene Gefängnis zuständig gewesen. Als Leiter der Vernehmungsabteilung sei der Angeklagte für die dortigen Geschehnisse einschließlich derjenigen im Gefängnis im Tatzeitraum April 2011 bis September 2012 verantwortlich gewesen. Er habe die Abläufe in dem Gefängnis überwacht und maßgeblich bestimmt und somit Tatherrschaft gehabt. Obgleich der Angeklagte die Taten nicht persönlich ausgeführt habe, seien ihm diese aufgrund seiner Entscheidungs- beziehungsweise Befehlsgewalt zuzurechnen. Das OLG hat den Angeklagten aus diesem Grund als Mittäter verurteilt.

Im Tatzeitraum seien im Al-Kathib-Gefängnis infolge der Misshandlungen 27 Menschen gestorben. Das OLG sieht insoweit in der Person des Angeklagten das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes erfüllt. Dieser habe in seinem Dienst für den syrischen Geheimdienst friedliche politische Gegner bis hin zu ihrer physischen Vernichtung bekämpfen wollte. Der Kampf habe dem Ziel gedient, den Sturz des totalitären Regimes zu verhindern. Auf dieser Weise habe der Angeklagte zugleich seine angesehene soziale Stellung als Oberst des Allgemeinen Geheimdienstes und die damit verbundenen Privilegien erhalten wollen. Hierin hat das OLG niedrige Beweggründe erkannt.

Die Verteidigung meinte, der Angeklagte könne wegen entschuldigenden Notstands nicht für seine Tat zur Verantwortung gezogen werden. Ein Verlassen seines Postens und eine Abkehr vom syrischen Regime wäre für ihn und seine Familie lebensgefährlich gewesen, er habe die Rache des Regimes fürchten müssen. Das OLG hat das Vorliegen eines entschuldigenden Notstands jedoch verneint. Der Angeklagte sei im Dezember 2012 aus Syrien geflüchtet. Nach Überzeugung des OLG hätte er Syrien jedoch bereits zu einem deutlich früheren Zeitpunkt verlassen können. In Anbetracht der Schwere der verübten Straftaten sei es für den Angeklagten zumutbar gewesen, sich diesen Taten auch unter Inkaufnahme hoher persönlicher Risiken zu entziehen.

Die Zuständigkeit des OLG Koblenz leitet sich aus dem so genannten Weltrechtsprinzip ab. Dieses erlaubt die weltweite Verfolgung von Straftaten, unabhängig vom Tatort und von der Nationalität von Täter und Opfer.

Oberlandesgericht Koblenz, PM und Urteil vom 13.01.2022

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