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„Transformationsfonds“ trotz „Schuldenbremse“ Drei Milliarden neue Schulden im Saarland – geht das?

Presseinformation 21.11.2022, Christoph Gröpl

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Christoph Gröpl ,Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, deutsches und europäisches Finanz- und Steuerrecht an der Universität des Saarlandes

 

Peter Sloterdijk hat kürzlich gesagt, die heutige Finanzwirtschaft gleiche mehr einem Seminar für Zauberer als für Mathematiker. Auch auf den saarländischen „Transformationsfonds“ trifft dies zu – jedenfalls in finanzverfassungsrechtlicher Hinsicht – wobei die Bezeichnung „Zauberer“ vielleicht noch gelinde gewählt ist.

 

1. Zahlen und Ziele

Voraussichtlich am 8. Dezember 2022 wird der Landtag des Saarlandes mit den Stimmen der regierungstragenden Abgeordneten der SPD-Fraktion den saarländischen „Transformationsfonds“ errichten, juristisch verpackt in das Haushaltsbegleitgesetz 2022 und gespeist durch das Nachtragshaushaltsgesetz 2022. Der Transformationsfonds wird als „Sondervermögen“ tituliert, soll aber ausschließlich aus Kreditermächtigungen bestehen, mithilfe derer der saarländische Finanzminister zehn Jahre lang neue Schulden zulasten des Saarlandes wird aufnehmen dürfen – und zwar in Höhe von insgesamt bis zu 3 Milliarden (3.000.000.000) Euro. Ein Vergleich zeigt, dass dies „kein Pappenstiel“ ist: Denn der Haushalt des Saarlandes für 2022 beläuft sich – ohne den Transformationsfonds – (nur) auf rund 5 Milliarden Euro, die Gesamtverschuldung des Saarlandes – ebenfalls ohne den Transformationsfonds – auf rund 14 Milliarden Euro. Der Transformationsfonds bläht den Landeshaushalt 2022 auf über 8 Milliarden Euro auf und wird die Gesamtverschuldung voraussichtlich von 14 auf 17 Milliarden Euro erhöhen.

Mit dem Transformationsfonds möchte die Landesregierung eine Transformation – ein Modewort für „Umgestaltung“ – fördern, konkret: den Strukturwandel im Saarland. Es geht ihr vor allem um kreditfinanzierte staatliche Investitionen und Investitionsfördermaßnahmen in „drei I’s“, nämlich Infrastruktur, Industriepolitik und Innovation.

 

2. Keine Notlage für den saarländischen Landeshaushalt im Jahr 2022

Nun verbieten die Regeln der sog. Schuldenbremse den Ländern allerdings seit 2020 grundsätzlich eine Nettoneuverschuldung, d.h. die Aufnahme neuer Schulden. Eine Ausnahme dazu bilden, so das Gesetz, „Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Landes entziehen und die Finanzlage des Landes erheblich beeinträchtigen“ (im Folgenden kurz: Notlagen). Genau darauf beruft sich die Landesregierung, indem sie den Ukrainekrieg und den dadurch ausgelösten „Energiepreisschock“ anführt. Nur: Der Ukrainekrieg findet rund 2.000 km weiter im Osten statt und droht voraussichtlich nicht auf das Saarland überzugreifen.

Der Energiepreisschock macht sich zwar sehr unangenehm bemerkbar – allerdings nicht für den saarländischen Landeshaushalt des Haushaltsjahres 2022, um den es aber beim Nachtragshaushalt allein geht. Dieser Jahreshaushalt schließt sogar mit Mehreinnahmen in Höhe von rund 500 Mio. Euro ab. Sollte hingegen ein Landeshaushalt ab 2023 durch eine Notlage belastet werden, wäre es Aufgabe des Haushaltsgesetzgebers, für das jeweils konkrete Jahr eine solche Notlage festzustellen und erforderlichenfalls Notlagen­kredite zu bewilligen. Für 2022 ist das unzulässig.

 

3. Absonderliche Absonderung von Kreditermächtigungen für zehn Jahre

Was möchte das Saarland tun? Es borgt sich sozusagen den Krieg in Osteuropa und die dadurch rasant steigenden Energiepreise des Jahres 2022, um in diesem Jahr, also 2022, Milliardenkredite aufzunehmen, und zwar bis 2032, gleich für zehn Jahre. Wer aber weiß, ob der Krieg und die hohen Gas- und Strompreise noch für zwei, drei oder mehr Jahre andauern? Von Verfassungs wegen wäre es Aufgabe von Landesregierung und Landtag, dies – begleitet von der aufmerksamen Öffentlichkeit – für jedes Jahr aufs Neue zu analysieren und dann im jeweiligen Jahreshaushaltsplan allfällige Gegenmaßnahmen zu bestimmen.

Um von dieser Mühe befreit zu werden, möchte die Landesregierung ein „Sondervermögen“ errichten, das abgesondert vom Landeshaushalt im Ermessen der Landesregierung über zehn Jahre Kredite verteilen darf, ohne dass der Landtag alljährlich darüber so debattiert, wie sich das für einen Dreimilliardenhaushalt gehört. Damit wird einer der ehernen Grundsätze des Haushaltsrechts verletzt: das Jährlichkeits­prinzip, das in Deutschland aus gutem Grund seit rund 170 Jahren besteht.

 

4. Kein hinreichender Zusammenhang zwischen Notlage und Krediteinsatz

Was öffentlich zudem kaum erörtert wird, ist der Veranlassungszusammenhang zwischen der – behaupteten – Notlage und der geplanten Verwendung (dem Verwendungszweck) der Kreditmittel. Worum geht es dabei? Die geltende Rechtslage erlaubt dem Saarland (wie dem Bund und allen anderen Ländern auch) die Aufnahme neuer Kredite insoweit, als dadurch eine bestimmte Notlage bekämpft wird. Wäre diese Voraussetzung nicht erforderlich, könnte jede Notsituation Tür und Tor dafür öffnen, „im Windschatten“ einer Notlage alles politisch Mögliche und Wünschenswerte zu finanzieren – die „Schuldenbremse“ wäre „ausgebremst“. Genau dies aber versucht die Landesregierung, wenn sie die Milliardenkredite nicht (nur) für die Linderung der kriegsbedingt hohen Energiepreise, sondern gleich für den Strukturwandel im Saarland einsetzen möchte.

Indessen: Die Notwendigkeit eines Strukturwandels im Saarland besteht ganz offensichtlich schon seit Jahrzehnten, sie hat mit dem Ukrainekrieg und dem „Energiepreisschock“ nichts zu tun. Sie stellt mithin keine Notlage dar, die eine Ausnahme zur „Schuldenbremse“ rechtfertigen könnte. Damit besteht der von Rechts wegen geforderte Veranlassungszusammenhang zwischen den Transformationsfondskrediten und der – behaupteten – Notlage nicht.

Das Einzige, was der Landesregierung hier zugestanden werden darf, ist die Tatsache, dass der Strukturwandel im Saarland durch die Energiekrise als Folge des Ukraine­kriegs verteuert wird und beschleunigt werden muss. Allein diese Zusatzkosten stehen im notwendigen Veranlassungszusammenhang und dürften über Notlagenkredite finanziert werden. Sie stellen aber nur einen Bruchteil der vorgesehenen Kredite und erst recht der Gesamtkosten des Strukturwandels dar.

5. Sondervermögen als sprießende Pilze

Bereits derzeit, also ohne den Transformationsfonds, verfügt das Saarland neben seinem Landeshaushalt über rund 13 Sondervermögen, die in den vergangenen Jahren fast wie Pilze aus dem Boden schossen. Das für Regierungen Verführerische daran ist, dass die Finanzmittel und Kreditermächtigungen von Sondervermögen nicht im Landeshaushalt dargestellt und verarbeitet werden. In Deutschland besteht allerdings – neben dem oben schon erwähnten Jährlichkeits­prinzip – seit rund 170 Jahren der Grundsatz, dass es nur einen Haushaltsplan geben darf, in den alle Einnahmen und Ausgaben des Staates aufzunehmen sind. Dies schützt das parlamentarische Budgetrecht, d.h. hier die Befugnis des Landtags, alle Finanzen auf den Tisch zu bekommen, darüber zu debattieren und zu beschließen. Sondervermögen bedeuten staatsschuldenrechtlich tendenziell einen Rückfall in die mittelalterliche und frühneuzeitliche Fondswirtschaft („Töpfchenwirtschaft“), die mit dem aufgeklärten demokratischen Rechtsstaat wenig gemein hat.

 

6. Tilgungsstreckung

Das Unangenehme an Krediten ist, dass sie nicht nur verzinst, sondern auch zurückgezahlt werden müssen. Davon möchte sich die derzeitige Landesregierung befreien und ihre unmittelbaren Nachfolger gleich mit: Denn die Tilgung der Dreimilliardenschulden des Transformationsfonds soll erst 2035 beginnen und überdies bis 2075, also über 40 (!) Jahre, gestreckt werden. Wer von den jetzt handelnden Politikern wird 2035 noch Verantwortung tragen, wer von ihnen – und von uns – wird 2075 noch am Leben sein? Damit wird klar: Die Kredite, die jetzt zehn Jahre lang in Anspruch genommen werden sollen, belasten die nächste und ggf. übernächste Generation, mit dann aber 75 Millionen Euro pro Jahr allein für diese Tilgung. Zudem könnten aus 3 Milliarden Euro Transformationsfonds-Schulden leicht 5 Milliarden werden, wie der Rechnungshof des Saarlandes jüngst prognostiziert hat.

Die Landesregierung rechtfertigt diese Tilgungsverschiebung mit dem Argument, dass die mit den Schulden ermöglichten Investitionen zukunftsnützig seien, also der nächsten Generation zugutekämen, indem sie unter anderem höhere Steuereinnahmen bescherten. Dies aber ist bestenfalls eine „Wette auf die Zukunft“. Schon in den vergangenen Jahrzehnten ist es dem Saarland mit seiner Verschuldungspolitik nicht gelungen, seine wirtschaftlichen Strukturen zum Besseren zu verändern. Wer mag glauben, dass das durch den Transformationsfonds gelingt?

Friedrich Nietzsche wird der Spruch zugeschrieben, dass es unsere Erleichterungen seien, für die wir später am bittersten bezahlten. Beim Transformationsfonds werden es unsere Kinder und Enkel sein, die für unsere Erleichterungen werden geradestehen müssen.

 

Hinweis: Der Artikel kommentiert den Sachstand zum Redaktionsschluss vom 18. November 2022

 

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