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Schwimmunterricht: Keine Befreiung aus religiösen Gründen

28.07.2025

Das Verwaltungsgericht (VG) Freiburg hatte mit Urteil vom 15.04.2025 die Klage eines Ehepaares abgewiesen, das einer kleinen christlichen Glaubensgemeinschaft angehört und aus religiösen Gründen für seine Kinder eine Befreiung vom Schwimmunterricht erreichen wollte. Jetzt liegen die schriftlichen Urteilsgründe vor.

Das klagende Ehepaar begehrte ursprünglich für drei seiner Kinder eine Befreiung vom schulischen Schwimmunterricht. Es führt an, dass nach den Glaubensregeln der Palmarianischen Kirche bereits das Betreten eines Schwimmbads eine "Todsünde" sei, da man dort durch die Zurschaustellung des Körpers "Unsittliches" zu sehen bekomme. Nach den Bekleidungsvorschriften dieser Glaubensgemeinschaft dürfen Männer und Frauen keine enganliegende und durchsichtige Kleidung tragen.

Für zwei Kinder haben die Kläger und das beklagte Land Baden-Württemberg das Verfahren für erledigt erklärt, da in den Klassenstufen, die diese Kinder inzwischen besuchen, kein Schwimmunterricht mehr angeboten wird. Hinsichtlich einer Tochter, die derzeit die vierte Klassenstufe besucht, hat das VG die Klage auf Befreiung vom Schwimmunterricht abgewiesen.

Die Kläger hätten keinen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung. Ein solcher ergebe sich insbesondere nicht aus § 3 Absatz 1 der baden-württembergischen Schulbesuchsverordnung. Diese Norm sei verfassungskonform so auszulegen, dass eine Befreiung vom Sport- beziehungsweise Schwimmunterricht nicht nur aus gesundheitlichen Gründen möglich sei, sondern auch in anderen "besonders begründeten Ausnahmefällen" erteilt werden könne. Ein solch besonderer Grund liege vor, wenn durch die Teilnahme an dem Unterricht die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Schülers beziehungsweise das religiöse Erziehungsrecht der Eltern verletzt würde. Dies sei vorliegend nicht der Fall, meint das VG.

Die Ablehnung der Befreiung vom Schwimmunterricht stelle zwar einen Eingriff in das religiöse Erziehungsrecht der Kläger dar, weil sie aufgrund der bestehenden Schulpflicht verpflichtet seien, ihre Tochter einem ihren Glaubensregeln widersprechenden Einfluss auszusetzen. Der Eingriff sei jedoch gerechtfertigt. Er diene der Wahrung des staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrags, der ebenfalls Verfassungsrang genieße.

Die beiden gleichrangigen Verfassungspositionen müssten in einen schonenden Ausgleich gebracht werden. Daher sei zunächst nach einer "kompromisshaften Konfliktentschärfung" zu suchen und zu berücksichtigen, dass der einzelne Schüler beziehungsweise dessen Eltern gestützt auf religiöse Verhaltensgebote nur in Ausnahmefällen eine Unterrichtsbefreiung beanspruchen können.

Hier sei eine Entschärfung des Konflikts im Kompromisswege durch organisatorische Vorgaben und Ausweichmöglichkeiten (etwa Bereitstellung einer abgetrennten Umkleidekabine, Tragen von nicht enganliegender Badebekleidung) aufgrund der kategorischen Ablehnung der Kläger und deren Haltung, dass bereits das Betreten eines Schwimmbads aus religiösen Gründen unmöglich sei, von vorneherein ausgeschlossen gewesen, so das VG. Infolgedessen sei es unausweichlich, eine Vorrangentscheidung zwischen religiösem Erziehungsrecht einerseits und staatlichem Erziehungsauftrag andererseits zu treffen, die hier zugunsten des Letzteren ausfalle. Denn das OVG habe nicht die Überzeugung gewonnen, dass eine Teilnahme am Schwimmunterricht zu einer besonders gravierenden Beeinträchtigung des religiösen Erziehungsrechts führen würde.

Insbesondere sei der Vortrag nicht nachvollziehbar, dass ein Verstoß gegen das Gebot, keine Schwimmstätten zu betreten und sich sittsam zu kleiden, eine "Todsünde" sei und zur Exkommunikation führe. Denn nach dem palmarianischen Katechismus setze eine Sünde einen "freiwilligen Ungehorsam" voraus. Die Teilnahme am Schwimmunterricht erfolge aber nicht freiwillig, sondern werde durch eine staatliche Vorgabe, nämlich die Schulpflicht, "erzwungen".

Selbst wenn man eine besonders gravierende Beeinträchtigungsintensität für das religiöse Erziehungsrecht unterstelle, falle die Abwägung zulasten der Kläger aus. Denn eine verpflichtende Rücksichtnahme der Schule auf ein regelrechtes Konfrontationsverbot, das die Kläger durch das Verbot des Betretens von Schwimmbädern formulierten, würde die Erfüllung der staatlichen Bildungs- und Erziehungsverantwortung erheblich schwächen und in einen prinzipiellen Nachrang gegenüber individuellen religiösen Tabuisierungsvorstellungen versetzen. Die schulische Aufgabe, die Schüler möglichst umfassend mit Wissensständen der Gemeinschaft, dem Erlernen lebensnotwendiger Fähigkeiten wie dem Schwimmen sowie dem mit dem Sportunterricht in besonderem Maße verbundenen Gemeinschaftsgedanken vertraut zu machen, wäre hierdurch unmittelbar beeinträchtigt. Dies stelle den schulischen Wirkungsauftrag in seinem Kern in Frage, da die Schule neben ihrer Bildungsaufgabe auch eine unerlässliche Integrationsfunktion zu erfüllen habe.

Dazu gehöre, dass die Schüler mit der in der Gesellschaft vorhandenen Vielfalt an Verhaltensgewohnheiten – wozu Bekleidungsgewohnheiten zählten – konfrontiert würden. Ein Zurücktreten des staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrags ist aus Sicht des Gerichts bei dieser Sachlage allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn andernfalls das religiöse Erziehungsrecht ebenfalls in seinem Kern in Frage gestellt würde. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Den Klägern bleibe es ansonsten – abgesehen von dem wöchentlichen Schwimmunterricht – im Alltag völlig unbenommen, ihre Tochter in Glaubensfragen nach eigener Vorstellung zu erziehen. Außerdem könnten sie die Einhaltung der von ihrem Glauben vorgegebenen Bekleidungsvorschriften im Schwimmunterricht durch alternative Badebekleidung (wie etwa einen Burkini) jedenfalls insoweit sicherstellen, dass die Einschränkung des religiösen Erziehungsrechts auf ein Minimum reduziert werde.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Kläger können einen Antrag auf Zulassung der Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg stellen.

Verwaltungsgericht Freiburg, PM vom 24.07.2025

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