
Millionenaufträge waren mündlich erteilt worden
Artikeldienst 05/2025
Etteln, das smarteste Dorf der Welt
Wie ein Dorf in Ostwestfalen Metropolen wie Hongkong aussticht...Das passiert, wenn ein 2.000-Einwohner-Dorf Digitalisierung selbst anpackt und vorantreibt. Etteln, ein Ortsteil von Borchen im Kreis Paderborn, zeigt, wie das gehen kann: mit Glasfaser in Eigenregie, einem Elektro-Dorfauto, einem vernetzten Altkleidercontainer und einem „digitalen Zwilling“ zur Hochwasser-Prävention. Dafür gab es Ende 2024 einen Preis des weltgrößten Ingenieurverbands IEEE – noch vor Metropolen wie Hongkong. Was hinter dem Erfolg steckt, wie das Projekt finanziert wurde und was andere Kommunen daraus lernen können, erklärt Ortsvorsteher Ulrich Ahle.
Ulrich Ahle ist seit über zehn Jahren Ortsvorsteher von Etteln und Mitinitiator der „Smart City“ Etteln. Hauptberuflich ist er IT-Experte und CEO von „Gaia-X“. Ziel dieses europäischen Projekts ist eine zukunftsgerichtete Dateninfrastruktur für Europa: Daten sollen gemeinsam und sicher ausgetauscht werden können, während die Datensouveränität der Dateninhaber gewahrt
bleibt. Dass auch kleine Gemeinden smart werden können, erzählt Ahle im Interview:
Was haben Sie in Etteln konkret umgesetzt, damit es zur „Smart City“ wird?
Ulrich Ahle: „Zunächst haben wir im Jahr 2020 die digitale Infrastruktur geschaffen, beginnend mit dem vollflächigen Glasfaserausbau. Im Kernbereich des Dorfes Etteln hat dies die Deutsche Glasfaser eigenwirtschaftlich durchgeführt. Im Außenbereich waren unserem damaligen Bürgermeister 10 % Eigenanteil beim ‚Weiße-Flecken‘-Förderprogramm des Bundes und des Landes zu viel. Wir haben daher 55 Haushalte und landwirtschaftliche Betriebe in ehrenamtlicher Eigenleistung durch die Dorfbevölkerung mit einem direkten Glasfaseranschluss versehen. Statt 2,7 Millionen Euro im geförderten Ausbau hat unser Projekt nur 100.000 Euro gekostet. Anschließend haben wir ein Funknetz (LoRaWAN) aufgebaut und eine FIWARE-basierte Digitalisierungsplattform in Betrieb genommen. An diese Plattform ist eine Vielzahl von installierten Sensoren angebunden.
Mit Hilfe unterschiedlicher Drohnen haben wir anschließend einen digitalen Zwilling (texturierte Punktwolke) des Dorfes erstellt und an die Digitalisierungsplattform angebunden. Diese Infrastruktur wird zum Beispiel für die Realisierung eines Hochwasserfrühwarnsystems genutzt. Eine autonom fliegende Drohne wird zukünftig die Freiwillige Feuerwehr unterstützen. Die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger wird durch ein E-Dorfauto, ein E-Lastenfahrrad und eine digitale Mitfahrbank unterstützt – alles mit dem Internet verbunden.
Alle Informationen sind per Computer, Smartphone oder über im Dorf verteilte, große digitale Außenbildschirme verfügbar. Eine Dorf-App unterstützt die Kommunikation im Dorf.“
Was war aus Ihrer Sicht das Erfolgsrezept für die Umsetzung?
Ulrich Ahle: „Basis für den Erfolg war eine gemeinsam abgestimmte Strategie (Digitaler Dorfzwilling 2030) mit dem Ziel, das digitalste Dorf in Deutschland zu werden. Zudem ist es gelungen, eine hohe Bereitschaft und Fähigkeit zu ehrenamtlicher Leistung aus der analogen in die digitale Welt zu überführen. Basierend auf der Strategie konnten Förderprojekte vom Land NRW, dem Bund und auch der EU gewonnen werden, die die Mittel für die Umsetzung der Strategie bereitgestellt haben.
Da wir bei der Digitalisierung im öffentlichen Bereich in Deutschland zehn Jahre hinter den führenden Ländern liegen, hatten wir den Vorteil, nichts neu erfinden zu müssen. Wir konnten uns darauf beschränken, bestehende Lösungen von anderen zu übernehmen.
Hier galten die Prinzipien Open Source, einheitliche Datenmodelle und einheitliche Schnittstellen. Die Digitalisierungsplattform basiert auf FIWARE, der mittlerweile weltweit führenden Open-Source-Technologie für die Digitalisierung von Städten und Kommunen. Diese Plattform ermöglichte auch die Integration aller Lösungen, um die Entstehung von Datensilos zu vermeiden. Der Betrieb der digitalen Plattform erfolgt CO₂-neutral und nachhaltig in einem Rechenzentrum im Turm eines Windrades.“
Wie hoch war das Gesamtbudget für die Smart-City-Entwicklung und wie wurde es finanziert?
Ulrich Ahle: „Es gibt kein fixiertes Budget für die Umsetzung der Strategie. Bisher sind ca. 1,5 Millionen Euro an Fördermitteln eingeworben worden, mit denen gut ein Drittel der in der Strategie beschriebenen Handlungsfelder und Projekte umgesetzt werden konnte. Hierbei ist der Anteil an Eigenleistung durch die Dorfbevölkerung nicht eingerechnet. Bisher haben sich mehr als 150 Personen an der Umsetzung der Projekte beteiligt.“
Hilft die „Smart City“ beim Bürokratieabbau respektive Kommunen beim Sparen?
Ulrich Ahle: „Generell bietet die Digitalisierung ein enormes Potenzial für den Bürokratieabbau und beim Sparen. Verwaltungsprozesse können effizienter und schneller erfolgen, und die kommunale Infrastruktur kann günstiger und nachhaltiger betrieben werden.
Der Fokus in unseren Projekten in Etteln liegt auf den Lebensbereichen der Bürgerinnen und Bürger. Die Mobilität wird günstiger und besser, die Kommunikation mit der Verwaltung digital unterstützt, das Dorf wird resilienter und die Energie günstiger – denn wir entwickeln aktuell einen dynamischen Stromtarif: viel Wind und Sonne gleich günstiger Strom.“
Welche drei wichtigen Tipps geben Sie Kommunen, die „smarter“ werden wollen?
Ulrich Ahle: „
- Eine klare Strategie gemeinsam mit der Bevölkerung erarbeiten und durch den Stadt-/Gemeinderat verabschieden.
- Wo immer möglich, die Verwendung von Open Source und offenen Standards.
- Eine stufenweise Umsetzung, um schnell sichtbare Erfolge zu schaffen und zur Vermeidung von Datensilos.“
Wie lange dauerte in Etteln die Transformation hin zur smarten City? Und welche smarten Projekte haben Sie für die Zukunft in der Pipeline?
Ulrich Ahle: „Die digitale Transformation in Etteln hat 2018 begonnen und läuft damit seit sieben Jahren. In der Zukunft soll das Dorf noch nachhaltiger aufgestellt werden.
Gemeinsam mit der Deutschen Energieagentur, Fraunhofer, der Westfalen Weser, der WestfalenWind Strom und weiteren Partnern wird ein dynamischer Strompreis entwickelt, der abhängig von der Verfügbarkeit erneuerbarer Energien ist.
Im Projekt ‚NeMo Paderborn‘ werden kleine, autonom fahrende Fahrzeuge zur Unterstützung des ÖPNV entwickelt. Das Angebot der Gesundheitsversorgung wird um digitale Angebote erweitert. Offen ist derzeit noch die Digitalisierung in der Landwirtschaft, da hier noch keine passenden Fördermöglichkeiten identifiziert werden konnten.“