Interviews
Interview mit Prof. Henning Vöpel (HWWI): "Diese Krise ist auch eine Chance"
Nicht nur in Corona-Zeiten gilt Prof. Dr. Henning Vöpel, Geschäftsführer des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts, als einer der gefragtesten Wirtschaftswissenschaftler. Für ein ausführliches Gespräch mit dem Nord-Kurier hat er sich dennoch Zeit genommen.
Herr Prof. Vöpel, zunächst eine persönliche Frage: Wie sind Sie bislang durch die Coronakrise gekommen?
Bislang ganz gut. Am Anfang des Shutdowns war ich noch im Ausland auf Vortragsreise. Es ist schon eine bizarre Situation, aber mittlerweile hat man sich daran gewöhnt. Das Leben und der Alltag haben sich schon verändert, aber in einigen Punkten auch zum Besseren. Ich habe den Eindruck, sogar kreativer und produktiver sein zu können als sonst.
Sehnen Sie sich nach der Zeit und den Gewohnheiten vor Corona oder glauben Sie, dass Sie auch einige neu gewonnene Gewohnheiten aus der Krisenzeit mit in die Nach-Krisenzeit nehmen werden?
Beides. Natürlich sehnt man sich nach Normalität zurück, nach den spontanen Begegnungen, Zufälligkeiten und Kleinigkeiten, den Emotionen des Alltags. Dennoch hoffe ich, dass wir nicht in die alten Muster zurückfallen, wenn die Krise mal vorbei sein wird. Die Krise ist eine Chance, viele Dinge, die wir unreflektiert akzeptiert haben, zu hinterfragen und mit einem anderen Bewusstsein und einer anderen Wahrnehmung zu verändern.
Schauen wir auf die Hamburger Politik. Hat der Senat die Stadt Ihrer Meinung nach gut durch die Krise gesteuert?
Im Wesentlichen schon. Man darf nicht vergessen, dass niemand auf Erfahrungen im Umgang mit solchen Situationen zurückgreifen kann. Die Politik ist mit einem großen Maß an Unsicherheit und unvollständigem Wissen konfrontiert und muss unter diesen Bedingungen dennoch kluge Entscheidungen treffen. Gut war die schnelle Hilfe durch einen Hamburger Schutzschirm. In einigen Bereichen hätte man sicherlich auch noch schneller reagieren können.
Und wie beurteilen Sie die Arbeit der Bundesregierung?
Sehr ähnlich. Die Hilfspakete kamen sehr schnell. Aber auch hier hätte man in der Bereitstellung von Masken, Schutzkleidung und Tests sicherlich mehr machen können.
Sind die aktuell vorhandenen Instrumente von Staatshilfen ausreichend?
Nein. Schon bald werden Kredite, Bürgschaften und Kurzarbeitergeld nicht mehr geeignet sein, die Situation zu überbrücken. Denn wahrscheinlich müssen wir mit längeren und wiederholten Einschränkungen rechnen. Dann werden wir über ganz andere Instrumente reden müssen.
Können Sie bereits abschätzen, wie groß der wirtschaftliche Schaden durch Corona sein wird? Einige Institute gehen ja davon aus, dass sich die Wirtschaft im nächsten Jahr wieder erholen wird.
Viele sind zu Beginn von einem V ausgegangen, also einem schnellen Rückgang und einer schnellen Erholung. Ich denke, es wird eher ein langes U, vielleicht sogar ein L. Das würde bedeuten, dass wir auf einen niedrigeren Wachstumspfad zurückkehren, falls es zu einer Insolvenzwelle kommt. Vor allem drohen Folgekrisen, etwa eine Staatsschuldenkrise und Probleme bei den Banken. Man darf nicht vergessen, dass die Krise global ist und die Absatzmärkte und Lieferketten wohl länger massiv gestört bleiben werden. Vorsichtig geschätzt würde ich derzeit von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von rund fünf bis acht Prozent ausgehen und im nächsten Jahr von einer Erholung zwischen drei und sechs Prozent.
Es ist kein Geheimnis, dass die Stadt Hamburg und auch der Bund in den vergangenen Jahren im Vergleich zu anderen europäischen Städten und Ländern gut gewirtschaftet haben. Hat sich dies in der Krise nun ausgezahlt vor dem Hintergrund enormer finanzieller Spielräume?
Ja, ganz bestimmt. Das betrifft zumindest die finanzielle Verkraftbarkeit der Krise. Die realwirtschaftlichen Kosten der Krise werden dennoch enorm sein. Der Ausfall von Produktion und damit von Einkommen stellen reale Kosten dar, die wir derzeit trotz aller Hilfen und Transfers tragen müssen.
Insbesondere der Ausfall von Einkommen wird die Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen verstärkt in den Fokus rücken. Wie stehen Sie zu diesem Konzept?
Ich bin sonst kein Anhänger des bedingungslosen Grundeinkommens, weil ich das Leistungsprinzip für essentiell in einer solidarischen Gesellschaft halte. Wenn aber Kurzarbeitergeld, Kredite und Bürgschaften demnächst nicht mehr greifen, werden wir uns über Formen und Instrumente der Grundsicherung neu unterhalten müssen, dazu gehört dann auch ein temporäres coronabedingtes Grundeinkommen. Immerhin untersagt der Staat vielen Menschen, ihrer Arbeit nachzugehen, was ein harter Eingriff ist.
Ein Thema, welches durch Corona stark in den Fokus geraten ist, ist die Digitalisierung. Wie glauben Sie, wird sich die Arbeitswelt nach der Krise verändern?
Ich bin zuversichtlich, dass die Akzeptanz für eine neue Arbeitswelt gestiegen ist. Alle sehen: Eine andere Arbeitswelt ist möglich und sie tut nicht weh, sondern sie kann sogar produktiver sein. Wir sehen jetzt schon, dass jene Unternehmen, die in der Digitalisierung weiter sind, in der Krise besser zurechtkommen und vermutlich nach der Krise schneller wieder starten werden.
Könnte Corona für die Bundesrepublik gar der Startschuss für die lange ersehnte Aufholjagd in Sachen Digitalisierung werden?
Für die Wirtschaft vielleicht, was die Politik betrifft, bin ich da eher skeptisch. Ich finde, dass diese jetzt in der Krise nicht sehr gut darin ist, die digitalen Möglichkeiten wirklich konsequent zu nutzen.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Es dauerte sehr lange, bis etwa die Tracing-App auf den Weg gebracht worden ist. Auch in der Verwaltung oder in den Schulen gibt es in der Krise kaum digitale Ausweichmöglichkeiten.
Lassen Sie uns noch einen Blick auf die internationalen Folgen der Coronakrise werfen. Wird die wirtschaftliche Vormachtstellung Deutschlands innerhalb Europas durch die Krise gestärkt oder eher geschwächt?
Eher gestärkt, denn es zeichnet sich ab, dass die Coronakrise zwar ein sogenannter symmetrischer Schock ist, die Auswirkungen jedoch sehr asymmetrisch sein werden. Denken Sie an Italien oder Spanien im Vergleich zu Deutschland. Die Konsequenz wird sein, dass die Rolle und Verantwortung Deutschlands für ein stabiles und solidarisches Europa stärker werden wird.
Die EU steckte schon vor Corona in einer Sinnkrise und in den vergangenen Wochen wirkte sie gar wie ein zahnloser Tiger. Wird sie sich neu erfinden müssen?
Ja, unbedingt. Die Krise wäre eine Chance für Europa gewesen, Handlungsfähigkeit und Solidarität zu beweisen und den Menschen zu zeigen, dass Europa für sie ein Vorteil gerade in Krisen ist. Stattdessen gab es überall unterschiedliche nationale Strategien, wo eigentlich mehr Kooperation und Koordination nötig gewesen wäre. Immerhin hat man sich nun doch auf ein großes Hilfspaket und auf ein gemeinsames Wiederaufbauprogramm für die Zeit nach der Krise einigen können. Trotzdem hat Europa wohl nicht an Vertrauen bei den Menschen gewinnen können.
Und wird sich Europa insgesamt nach Corona mehr abschotten oder gar abschotten müssen?
Die Globalisierung steht auf dem Spiel und mit ihr die internationale Arbeitsteilung, die vielen Menschen auf der Welt geholfen hat, sich aus der Armut zu befreien. Daher wäre Abschottung falsch. Es geht vielmehr um eine neue Ordnung und Governance der Globalisierung. Und da kann und muss Europa eine wichtige Rolle spielen, gerade in Bezug auf die geopolitischen Auseinandersetzungen zwischen den USA und China oder in Bezug auf Afrika, wo die Lösungen für viele zukünftige Herausforderungen liegen, das nun aber durch die Krise womöglich sehr gebeutelt werden wird.
Also sehen Sie nicht das Ende, sondern lediglich einen Dämpfer für die Globalisierung?
Ja. Es ist ein Dämpfer, aber einer, der die ohnehin stattfindenden gefährlichen Entwicklungen verschärfen und beschleunigen könnte. Schon viel länger reden wir ja von Re-Nationalisierung, Protektionismus und Autarkie. Vor diesem Hintergrund muss die Zielrichtung sein, die Krise für eine Umkehr in Richtung globaler Kooperation für Nachhaltigkeit und Prosperität zu nutzen.
Herr Prof. Vöpel, vielen Dank für das Gespräch.
(Das Interview wurde im April 2020 geführt.)
Interview mit Michael Kruse (FDP): "Wir fordern eine Senkung der Grundsteuer"
Die Hamburger FDP hat sich in den vergangenen Jahren personell erneuert. Nachdem Katja Suding nach Berlin gewechselt ist, haben junge Abgeordnete wie Michael Kruse Verantwortung übernommen. Wir haben uns mit dem Fraktionsvorsitzenden der Elbliberalen auf ein Gespräch getroffen.
Herr Kruse, die Stimmen, die der Republik eine Rezession und damit verbunden nur noch leicht steigende Steuereinnahmen vorhersagen, werden lauter. Wie sehen Sie den Hamburger Haushalt für die kommenden Jahre gerüstet?
Leider hat es der Senat in der zurückliegenden Boomphase nicht geschafft, den Haushalt so aufzustellen, dass wir für den drohenden Abschwung ausreichend gerüstet sind. In den letzten Jahren hat die Stadt mehrere Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen.
Hauptgrund dafür ist die HSH Nordbank. Ohne diese hätte die Stadt unter dem Strich Schulden getilgt.
Das stimmt, wir können uns davon aber nichts kaufen. Ich bleibe deshalb dabei: Der Senat hätte deutlich mehr Engagement zeigen müssen, um den Haushalt krisenfest zu gestalten. Stattdessen wurden die Mehreinnahmen der vergangenen Jahre größtenteils mit vollen Händen ausgegeben. Das größte Problem hier: Die Ausgaben sind strukturell erhöht worden. Bei einem Einbruch der Konjunktur ist Hamburg nicht ausreichend handlungsfähig.
Das Kapitel HSH Nordbank konnte der Senat nun schließen. Die Stadt ist aber noch an rund 400 weiteren Unternehmen beteiligt.
Richtig, und noch immer laufen in den öffentlichen Unternehmen massive Verluste auf, die fortlaufend vom Steuerzahler ausgeglichen werden müssen. Und die HSH Nordbank zeigt ja, dass man mit Steuerzahlergeld grundsätzlich sehr vorsichtig umgehen muss, weil es sonst dramatische Folgen hat.
Wir als Steuerzahlerbund fragen uns zum Beispiel, ob die öffentliche Hand an einem Busunternehmen wie Reisering Hamburg beteiligt sein muss.
Über das man Reisen in Fünf-Sterne-Hotels buchen kann. Das ist keine städtische Aufgabe. Übrigens konnten uns Senatsvertreter im zuständigen Bürgerschaftsausschuss zu einzelnen städtischen Unternehmen nicht einmal sagen, was diese überhaupt am Markt anbieten.
Sie meinen also, die Stadt hat keinen Überblick über ihre Unternehmensbeteiligungen?
Nein, vor allem gibt es kein vernünftiges Steuerungskonzept. In Sachen öffentliche Unternehmen war Peter Tschentscher schon als Finanzsenator unambitioniert und er ist es auch heute als Bürgermeister. Es ist an der Zeit, die städtischen Unternehmen systematisch auf ihren Nutzen für die Stadt zu überprüfen. Die richtigen Lehren aus der HSH Nordbank wurden von Rot-Grün bisher nicht gezogen.
Immerhin schien der Senat in Sachen Baukosten die richtigen Lehren aus der Elbphilharmonie gezogen zu haben. Bis die Meldung kam, dass auch die Revitalisierung des CCH 36 Millionen Euro teurer werden würde als ursprünglich geplant.
Grundsätzlich ist es immer ärgerlich, wenn öffentliche Bauten am Ende teurer werden. Beim CCH ist dies umso ärgerlicher, wenn wir uns die Gründe anschauen, denn die Kostensteigerung war vermeidbar.
Zum Beispiel Asbestfunde.
Wen Asbest in einem 70er Jahre-Bau überrascht, der sollte nicht bauen. Mit entsprechend sorgfältigen Voruntersuchungen hätte man sich diese Überraschung also ersparen können, etwa durch einen Probeabriss. Im Übrigen kann man am Beispiel des CCH erkennen, wie die Bürger auf der einen Seite und die öffentliche Hand auf der anderen Seite unterschiedlich behandelt werden. Wenn jemand privat auch nur eine Asbestschindel von seinem Haus entfernt, muss diese teuer entsorgt werden. Bei der Revitalisierung des CCH hingegen wurde der Asbest einfach vor Ort vergraben, weil eine fachgerechte Entsorgung zu noch mehr Kosten geführt hätte. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen.
Zur Kostensteigerung kam es auch wegen Pfusch am Bau. Ein erst 2007 fertiggestellter Bauteil ist bereits heute wieder sanierungsbedürftig.
Und genau deshalb fordern wir, dass die Stadt den Zustand öffentlicher Gebäude grundsätzlich vor Ablauf der Gewährleistungsfrist, die in diesem Fall leider schon verstrichen ist, prüft, um die verantwortlichen Baufirmen notfalls noch rechtzeitig in Regress nehmen zu können. Solche Untersuchungen finden heute nicht systematisch statt. Diese Sorglosigkeit zahlt der Steuerzahler.
Lassen Sie uns noch über das Thema Wohnen sprechen. Dieses wird wohl bestimmt eines der zentralen Wahlkampfthemen werden.
Und das völlig zu Recht. Wir fordern eine Senkung der Grundsteuer, denn sie verteuert das Wohnen für jeden, egal ob in der selbst genutzten Wohnimmobilie oder als Mieter. Durch die Abschaffung oder zumindest die Reduzierung der Grundsteuer würde das Wohnen für alle Bürger um einige Prozentpunkte günstiger. Und jeder Politiker, der sagt, dass die Wohnkosten die soziale Frage Nummer eins sind, muss als erstes dafür sorgen, dass der Staat bzw. die Stadt es nicht verteuert. Gleiches gilt für die Grunderwerbsteuer, wo die Stadt massiv von den gestiegenen Bodenpreisen profitiert.
Und wie würden Sie die dann fehlenden Einnahmen kompensieren wollen? Immerhin nimmt die Stadt jährlich rund 500 Millionen Euro durch die Grundsteuer ein.
Bei der Grundsteuer nimmt die Stadt immer mehr ein, weil wir jedes Jahr tausende Neuhamburger begrüßen können. Eine Senkung der Grundsteuer ist für den Haushalt kein Problem, sondern machbar.
Über eine Reduzierung der Grunderwerbsteuer könnte man in diesem Zusammenhang dann auch diskutieren. Immerhin gibt es durch explodierende Immobilienpreise und damit verbundene Mehreinnahmen durch die Grunderwerbsteuer einen großen Gewinner, nämlich den Staat.
Deshalb fordern wir, genau wie der Bund der Steuerzahler, einen Freibetrag für die Grunderwerbsteuer auf das erste selbstgenutzte Wohneigentum. Dieser Freibeitrag soll 500.000 Euro betragen. So würden wir es mehr Menschen ermöglichen, in Form eines Eigenheims für das Alter vorzusorgen.
Herr Kruse, vielen Dank für das Gespräch.
(Das Interview wurde im August 2019 geführt.)
Interview mit Martin Bill (Grüne): "Wir müssen endlich die Spirale des Planens beenden"
Seit Greta Thunberg erhält das Thema Klimawandel eine nie dagewesene Aufmerksamkeit. So ist es auch in Hamburg. Und da Klimapolitik auch immer Verkehrspolitik ist, haben wir uns mit Martin Bill, dem verkehrspolitischen Sprecher der Grünen in der Hamburgischen Bürgerschaft, auf ein Gespräch getroffen.
Herr Bill, bis vor einigen Jahren noch stand in der Verkehrspolitik insbesondere der Pkw im Fokus, mittlerweile jedoch fließen mehr und mehr finanzielle Mittel unter anderem in die Fahrradinfrastruktur. Ein Langzeittrend?
Ja. Fahrradfahren ist nicht nur eine klimafreundliche Art der Fortbewegung, sondern es bringt auch positive volkswirtschaftliche Effekte mit sich. So führt beispielsweise eine Verschiebung der Anteile am Verkehrsaufkommen weg von Auto- hin zu mehr Radfahrten zu weniger Kosten im Gesundheitssystem. Zudem benötigt man für Radverkehr in einer zunehmend enger besiedelten Stadt deutlich weniger Flächen als für Pkw-Verkehr.
Der rot-grüne Senat hat es sich zum Ziel gesetzt, den Anteil des Radverkehrs bis 2025 auf 25 Prozent zu erhöhen. Das ist für eine Großstadt ein sehr ambitioniertes Ziel.
Tendenziell sind wir bereits auf einem guten Weg. Noch 2002 wurden 47 Prozent der Wege mit dem Pkw zurückgelegt. Heute liegen wir bei nur noch 36 Prozent. Beim Fahrradverkehr haben wir es von 9 auf 15 Prozent geschafft. Und der ÖPNV hat immerhin von 19 auf 22 Prozent zugelegt. Aber da ist noch deutlich Luft nach oben. Langfristig zumindest wollen wir den Anteil des Autoverkehrs auf 20 Prozent senken.
Das wird die Stadt allerdings nur mit einem attraktiven ÖPNV schaffen. Doch gerade hier hakt es. Die neue U 5, die über Bramfeld und den Hauptbahnhof bis nach Osdorf führen soll, wird erst in circa 15 Jahren fertiggestellt sein und den Steuerzahler bis dahin im ungünstigsten Fall einen zweistelligen Milliardenbetrag gekostet haben.
Ja, teuer wird es in jedem Fall. Und machen wir uns nichts vor: Diese U 5 alleine wird nicht Hamburgs Verkehrsprobleme lösen, denn auch andere Linien werden irgendwann an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Deshalb werden wir in Zukunft für Tangentialverbindungen oder auch für die Anbindung kleinerer Umlandgemeinden an die Hansestadt andere Verkehrsmittel brauchen.
Sie meinen die Stadtbahn?
Genau. Dieses Verkehrsmittel wird auch weiterhin Teil unseres Instrumentenkastens sein, um den städtischen ÖPNV zukunftsfähig zu machen und um unsere Umweltziele zu erreichen.
Bislang wurden bereits rund 100 Mio. Euro nur für die Planungen zur U 5 ausgegeben. Hätte man dafür nicht auch schon einige Kilometer Stadtbahnnetz legen können?
Wir als Grüne wollen jetzt nicht wieder anfangen, die bereits fortgeschrittenen UBahn-Pläne für ein Stadtbahnkonzept über den Haufen zu werfen. Hätten die CDU im Jahr 2001 und die SPD im Jahr 2011 die Stadtbahnpläne nicht gestoppt, dann hätten wir einige Kapazitätsprobleme, vor denen wir heute stehen, nicht. Das muss man ganz klar sagen. Aber das ist Vergangenheit. Wir müssen endlich die Spirale des Planens beenden und ins Bauen kommen.
Sollten die Fahrgastzahlen im ÖPNV und im Fernverkehr wie erwartet in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren stark ansteigen, könnte das Nadelöhr Elbbrücken diese Entwicklung ausbremsen. Was sagen Sie zu der verbreiteten Idee, in Altona eine weitere unterirdische Elbquerung für Schienenverkehr in Kombination mit der benötigten Fernwärmeleitung zu schaffen?
Die Idee an sich ist nicht abwegig. Allerdings müssen wir Prioritäten setzen. Gemeinsam mit der Deutschen Bahn haben wir bereits das Projekt S 4 auf die Beine gestellt. Zudem wollen wir die S 21 bis nach Kaltenkirchen verlängern und nach Elmshorn wollen wir ein drittes oder gar ein viertes Gleis legen. Auch muss in den kommenden Jahren gemeinsam mit der Deutschen Bahn nicht nur der Hauptbahnhof aufwändig umgebaut werden, sondern wir wollen auch den neuen Fernbahnhof Diebsteich bauen. Des Weiteren benötigen wir für die bereits bestehenden Strecken weitere Kapazitätssteigerungen, dafür muss die Bahn digitalisiert werden, um die ganzen Zugströme auch in Zukunft abwickeln zu können. Und um die Gelder der Deutschen Bahn und des Bundes stehen wir mit 15 weiteren Ländern in Konkurrenz. Wenn wir jetzt also sagen, wir hätten auch gerne noch zwei Milliarden Euro obendrauf für einen Tunnel, glaube ich, dass wir uns übernehmen.
Herr Bill, vielen Dank für das Gespräch.
(Das Interview wurde im Juni 2019 geführt.)
Interview mit Norbert Hackbusch (Linke): "Hamburg darf nicht wie Genua werden"
Norbert Hackbusch sitzt seit 2008 für die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft und ist der haushaltspolitische Sprecher seiner Fraktion. Er gilt als Querdenker in Hamburgs Politiklandschaft. Wir haben ihn auf ein Gespräch getroffen.
Herr Hackbusch, gerade erst im Dezember hat die Hamburgische Bürgerschaft den Haushalt für die Jahre 2019 und 2020 verabschiedet. Und obwohl die Stadt erneut deutlich mehr Geld ausgibt, hätte Ihre Fraktion den Haushalt gerne noch weiter aufgestockt. Wo sehen Sie Nachbesserungsbedarf?
Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Auch wenn in den letzten Jahren beispielsweise viel Geld in die Sanierung und den Neubau von Schulen investiert wurde, ist dies noch immer nicht ausreichend. Und auch viele Straßen, Brücken und Kaianlagen sind nach wie vor marode. Mit den aktuell zur Verfügung stehenden Mitteln sorgen wir lediglich dafür, dass der Status quo erhalten wird. Verbesserungen werden damit kaum erzielt.
Aber ist es nicht vernünftig, nur das Geld auszugeben, das zur Verfügung steht?
Hier benötigen wir eine andere Herangehensweise. Natürlich können wir momentan viel Geld ausgeben. Die Frage ist doch aber, was wir machen, wenn die Steuern nicht mehr sprudeln. Soll die Stadt ihre Infrastruktur dann verfallen lassen, so dass wir bald Verhältnisse wie in Genua haben? Soweit darf es nicht kommen. Deshalb darf bei Haushaltspolitikern nicht immer nur die Frage im Raum stehen, wie viel Geld ausgegeben werden kann. Vielmehr muss auch die Frage gestellt werden, wie viel Geld benötigt wird.
Und die Differenz soll sich die Stadt dann über Steuererhöhungen von den Bürgern holen?
Ja. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir als Linke hatten beantragt, die städtischen Ausgaben um insgesamt 700 Mio. Euro zu erhöhen. Profitieren sollte hiervon beispielsweise der Sozialbereich. Die Mehrausgaben wollten wir auch über eine Erhöhung der Grunderwerbsteuer gegenfinanzieren. Diese liegt in Hamburg nämlich bei nur 4,5 Prozent, in Schleswig-Holstein aber bei 6,5 Prozent.
Der Steuerzahlerbund setzt sich bei dieser Steuer für eine ganz andere Lösung ein. Wir plädieren seit Jahren für einen Grundsteuerfreibetrag für selbstgenutztes Wohneigentum. Denn es gilt immer noch die Weisheit, dass eine eigene Immobilie der beste Schutz vor Altersarmut ist.
Grundsätzlich halte ich es für nicht richtig, dass ich für mein tägliches Brot sieben Prozent Mehrwertsteuer zahle, für den Kauf einer Immobilie aber nur 4,5 Prozent fällig werden.
Aber jemand, der eine Wohnung kauft, um diese dann zu vermieten, würde die höheren Anschaffungskosten doch automatisch als höhere Miete an die Mieter weiterreichen. Somit würde der sowieso schon angespannte Mietenspiegel noch weiter befeuert.
Der Eigentümer versucht doch unabhängig, möglichst hohe Mieten zu erreichen. Aber natürlich sind wir offen für Vorschläge, die es zum Ziel haben, Familien beim Immobilienerwerb finanziell zu entlasten.
Lassen Sie uns über die HSH Nordbank reden. Diese wurde gerade erst verkauft. Die Eigentümer Hamburg und Schleswig-Holstein sind somit ihren größten Klotz am Bein los.
Was bei der HSH Nordbank über Jahre passiert ist, war Betrug am Bürger. Uns als Volksvertretern wurde 2013 noch erzählt, dass von den 10 Mrd. Euro Garantien, die die beiden Länder gegeben haben, höchstens 1,3 Mrd. Euro fällig würden. Heute wissen wir, dass die 10 Mrd. Euro in Gänze beansprucht wurden. Das ist eine unvorstellbar große Summe. Was hätten wir mit diesem Geld nicht alles machen können.
Sie als Linke haben insbesondere auch den Verkaufsprozess der Landesbank kritisiert.
Richtig. Wie kann es sein, dass der Vorstandsvorsitzende, Herr Ermisch, bei den Verhandlungen zum Verkauf der Bank zunächst die Interessen der beiden Länder vertritt. Im zweiten Schritt soll er dann aber auch der Chef der verkauften Bank bleiben. Er hatte somit natürlich ein grundsätzliches Interesse daran, dass möglichst viel Geld von den Eigentümern und somit vom Steuerzahler an die Bank fließt. An dieser Stelle hätten wir uns eine sauberere personelle Konstellation gewünscht.
Lassen Sie uns bei dem Thema städtische Beteiligungen bleiben. Hamburg ist an der Traditionsreederei Hapag-Lloyd beteiligt. Hierfür wurde bislang über eine Mrd. Euro ausgegeben.
Wir haben den Einstieg der Stadt damals befürwortet. Auch wenn das Thema selbst innerhalb der Linken strittig war.
In Ihrer Partei war also nicht jeder für eine Staatsbeteiligung?
Ja. Der Schifffahrtsmarkt befindet sich seit Jahren in unruhigem Fahrwasser. Die Reederei NOL zum Beispiel, die damals Hapag-Lloyd übernehmen wollte, was die Stadt dazu bewog, aus Angst vor dem Abbau von Hamburger Arbeitsplätzen selbst aktiv zu werden, existiert schon gar nicht mehr. Und die Reederei Hamburg Süd, die vom Weltmarktführer Maersk gekauft wurde, wird aus dem städtischen Erscheinungsbild verschwinden und in Maersk aufgehen. Der Einstieg der Stadt bei Hapag-Lloyd war also notwendig, aber nicht ohne Risiko.
Und glauben Sie, dass die Stadt am Ende des Tages, wie vom ehemaligen Bürgermeister Olaf Scholz versprochen, mit ihrem Einstieg keinen Verlust machen wird?
Wir wissen, dass die von Scholz versprochenen Dividenden die städtischen Kosten nicht kompensiert haben. Die Stadt hat über eine Mrd. Euro investiert, der Gegenwert der Aktienpakete ist jedoch deutlich geringer. Ich fand die Aussage von Herrn Scholz immer zu optimistisch.
Herr Hackbusch, vielen Dank für das Gespräch.
(Das Interview wurde im November 2018 geführt.)